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بسم الله الرحمن الرحيم

Im Namen Allahs des Erbarmungsvollen des Barmherzigen

Antwort auf eine Frage

Der Schritt des tunesischen Präsidenten, die Arbeit des Parlaments auszusetzen und den Premierminister seines Amtes zu entheben!

Frage:

Reda Gharslawi, ehemaliger Präsidentenberater für nationale Sicherheit, legte vor Tunesiens Präsident Kais Saied den Verfassungseid ab, um die Leitung des Innenministeriums zu übernehmen. Das berichtete Aljazeera am 30.07.2021. Am Sonntagabend (25.07.2021) hatte Kais Saied nach einer Dringlichkeitssitzung mit Militär- und Sicherheitsführern in einer Ansprache im Staatsfernsehen angekündigt, die Arbeit des Parlaments auszusetzen und den Premierminister Hichem Mechichi auf Grundlage des Artikels 80 der tunesischen Verfassung abzusetzen. Zudem wurde die Immunität der Parlamentsabgeordneten aufgehoben und die Minister für Verteidigung und Justiz entlassen. Die Exekutivgewalt wolle er selbst mit Hilfe eines von ihm ernannten Premierministers übernehmen. Warum hat der tunesische Präsident diesen Schritt unternommen? Wie sehen die internationalen Reaktionen aus? Heißt das, dass die internationale Auseinandersetzung auch auf Tunesien übergesprungen ist?

Antwort:

Zur Verdeutlichung der wahrscheinlichsten Antwort auf diese Fragen, wollen wir folgende Punkte darlegen:

1. Die Krise zwischen Präsident Kais Saied auf der einen und Regierung und Parlament auf der anderen Seite nahm zu Beginn des Jahres mit der Ankündigung einer Kabinettsumbildung durch Premierminister Hichem Mechichi am 16.01.2021 seinen Anfang. Elf der insgesamt 25 Ministerressorts wären betroffen gewesen. Der Präsident lehnte eine Umbildung des Kabinetts, einschließlich der Entlassung ihm nahestehender Minister ab. Saied erklärte hierzu: „Bei der kürzlich von Premierminister Hichem Mechichi vorgenommenen Regierungsumbildung wurde das von der Verfassung besonders in Artikel 92 festgelegte Verfahren nicht respektiert, d. h. die Notwendigkeit einer Beratung mit dem Ministerrat bei Veränderungen an der Regierungsstruktur, neben weiteren Verstößen (die nicht genannt wurden).“ Ergänzend sagte er: „Gegen einige der vorgeschlagenen Minister für die Kabinettsumbildung laufen Verfahren oder es liegen Akten wegen Interessenkonflikten gegen sie vor. Jemand, gegen den ein Verfahren läuft, kann unmöglich einen Eid leisten.“ Der Eid sei keine Formalie, sondern eine „essentielle Maßnahme“. Zudem brachte er seine Unzufriedenheit über „das Fehlen von Frauen“ auf der Liste der vorgeschlagenen Minister zum Ausdruck. (AFP, 25.01.2021) Die Entscheidungen des tunesischen Präsidenten kamen zu einer Zeit, in der Tunesien eine schwere Wirtschaftskrise durchlebt, die sich durch die Folgen der Corona-Pandemie, von dem das Land besonders hart getroffen wurde, verschärft hat. Es wurde die Warnung ausgesprochen, dass das Gesundheitssystem kurz vor dem Kollaps stehe, was in den vergangenen Tagen dringende medizinische Hilfe von anderen Staaten erforderlich machte. Laut des tunesischen Statistikamtes brach im Jahr 2020 die tunesische Wirtschaft um 8,8 Prozent ein. Gemäß Berichten des tunesischen staatlichen Statistikamtes vom Montag ist die Wirtschaft des Landes im Jahr 2020 um den Rekordwert von 8,8 Prozent eingebrochen. Die stark vom Tourismus abhängige Wirtschaft ist aufgrund der Corona-Pandemie schwer in Mitleidenschaft gezogen. Im vierten Quartal des Jahres 2020 stieg den Angaben des Statistikamtes zufolge die Arbeitslosenquote auf 17,4 Prozent, während sie im dritten Quartal desselben Jahres bei 16,2 Prozent lag. (Anadolu, 15.02.2021)

2. Am 25.07.2021 veröffentlichte das tunesische Präsidialamt auf seiner offiziellen Facebook-Seite eine Erklärung, in der es hieß: Nach Rücksprache mit dem Premierminister und dem Präsidenten des Parlaments und auf Grundlage von Artikel 80, hat Präsident Kais Saied heute, am 25.07.2021, folgende Beschlüsse gefasst, um die Integrität, die Sicherheit und die Unabhängigkeit des Landes zu wahren und um den weiteren Betrieb der Staatsgeschäfte sicherzustellen: Die Absetzung von Premierminister Hichem Mechichi. Die Aussetzung der Arbeit und der Befugnisse des Parlaments für einen Zeitraum von 30 Tagen. Die Aufhebung der Immunität sämtlicher Abgeordneter des Parlaments. Der Präsident der Republik übernimmt die Exekutivgewalt mit Unterstützung einer Regierung, die von einem vom Präsidenten ernannten Premierminister geführt wird. Dort heißt es auch: In den kommenden Stunden wird eine Verordnung erlassen werden, die diese außerordentlichen Maßnahmen regelt, die aufgrund von Umständen erforderlich wurden und die aufgehoben werden, sobald die Gründe dafür nicht mehr vorliegen. Das Präsidialamt ruft das tunesische Volk dazu auf, sich nicht hinter die Anstifter von Chaos zu stellen.“ (Dubai CNN, 26.07.2021) Saied bekräftigte, dass seine Entscheidungen „keine Aussetzung der Verfassung und kein Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnungseien. (Aljazeera.net, 26.07.2021) Am Freitag erklärte Saied, er werde sich nicht in einen Diktator verwandeln, denn er kenne den Verfassungstext sehr gut. Er habe ihn studiert und respektiere ihn. Die offizielle Nachrichtenagentur berichtete bereits zu einem früheren Zeitpunkt darüber, dass die Justiz Ermittlungen gegen vier Mitglieder der Nahda-Partei, darunter Ghannouchis Leibwächter, wegen des Verdachts versuchter Gewalttaten vor dem Parlament eingeleitet hätte ebenso wie gegen den Parlamentsabgeordneten Yassine Ayari. (France 24/AFP/Reuters, 30.07.2021)

3. Doch am 26.07.2021 bestritt Parlamentspräsident Rashid Ghannouchi auf seiner offiziellen Facebook-Seite, vom Präsidenten der Republik konsultiert worden zu sein. Dort schrieb er: „Der Präsident des Parlaments dementiert, dass es Konsultationen zur Aktivierung des Artikels 80 der Verfassung gab. (…) Er wurde vom Präsidenten der Republik Kais Saied bezüglich der Aktivierung von Artikel 80 keinesfalls konsultiert. Alles andere ist eine Falschbehauptung.“ Am Montagmorgen hinderten Soldaten den Präsidenten und die Mitglieder des Repräsentantenhauses daran, das Parlamentsgebäude zu betreten und setzten sie darüber Kenntnis, dass sie Anweisungen zur Schließung des Parlaments hätten. Ghannouchi sagte dazu: „Ich bin der Präsident des Parlaments und stehe vor der Institution, die ich leite, und die Armee hindert mich daran, sie zu betreten.“ Er warf Kais Saied vor, „einen Putsch gegen die Revolution und die Verfassung“ durchgeführt zu haben. (Aljazeera, 27.07.2021) Doch Saied erklärte, seine jüngsten Beschlüsse seien kein Putschversuch gegen die Verfassung gewesen, und er habe auch nicht die Absicht, einen Putsch gegen die Verfassung und die Legitimität im Land durchzuführen. Die jüngsten Entscheidungen seien völlig legal und würden aufgehoben werden, sobald die drohende Gefahr für das Land beseitigt sei. (Facebook-Seite des tunesischen Präsidialamtes, 27.07.2021) Am 30.07.2021 legte schließlich, wie von Aljazeera am 30.07.2021 berichtet, Reda Gharslawi, der bislang das Amt des Beraters innehatte, den Verfassungseid vor dem Präsidenten Kais Saied ab.

4. Was die Reaktionen der Großmächte, die in Tunesien aktiv sind, betrifft, so sehen sie wie folgt aus:

a) USA: Die USA haben politisch keinen effektiven Einfluss in Tunesien. Grundsätzlich gilt die Loyalität der dortigen politische Elite den Briten. Doch dann gelang es auch Frankreich, einen Fuß ins Land zu setzen und an Einfluss zu gewinnen. Somit unterstehen die Politiker Tunesiens der europäischen, d. h. der französischen und britischen Einflusssphäre. Auch die USA versuchten bis zu einem gewissen Grad, sich mittels militärischer und zivilgesellschaftlicher Hilfe Zutritt zu verschaffen. Was die militärische Unterstützung betrifft, so haben die Amerikaner über diesen Weg versucht, Einfluss in Tunesien zu gewinnen. Über Jahrzehnte haben sie unter dem Vorwand der „Terrorismusbekämpfung“, die tunesische Armee mit Waffen versorgt, trainiert und mit ihr kooperiert. Die Unterstützung des Militärs erfolgte im Rahmen des International Military Education and Training (IMET) und über das Combating Terrorism Fellowship Program. Zwischen 2012 und 2016 flossen rund 2,7 Milliarden Dollar an US-Hilfe nach Tunesien. 2015 wurde Tunesien zu einem „Verbündeten außerhalb der NATO“ erklärt. Am 01. Oktober 2020 unterzeichnete der damalige US-Verteidigungsminister Mark Esper mit Tunesien einen 10-jährigen „Fahrplan für die Verteidigungskooperation“. Nach einem Treffen mit Präsident Kais Saied betonte er: „Wir freuen uns darauf, diese Beziehungen auszubauen, um Tunesien dabei zu helfen, seine Seehäfen und Landesgrenzen zu schützen, den Terrorismus abzuwehren und die destruktiven Anstrengungen der diktatorischen Regime von Ihrem Land fernzuhalten.“(Africa News, 01.10.2020)

Was die Art der zivilgesellschaftlichen Unterstützung anlangt, so hat sich die US-Botschaft dieser Sache im Rahmen des Programms zur Förderung der Guten Staatsführung und der Korruptionsbekämpfungin Tunesien angenommen und sie mit 5,6 Millionen Dollar gefördert. Das National Center for State Courts (NCSC) hat eine Absichtserklärung mit dem Ministerium für Beziehungen zu den Verfassungsorganen und der Zivilgesellschaft unterzeichnet, um eine elektronische Plattform für zivilgesellschaftliche Organisationen zu erstellen. Diese Plattfrom wird bei der Fernregistrierung zivilgesellschaftlicher Organisationen helfen, zusätzlich zur Erstellung der eigenen Finanz- und Kulturberichte der Organisationen, um die Effizienz- und Rechenschaftsmechanismen zu verbessern. (US-Botschaft in Tunis, 20. Dezember 2020) Doch nur wenn ein politisches Vakuum in einem Land herrscht, können solche Maßnahmen als Eintrittstor dienen, um Einfluss in diesem Land nehmen zu können. Das funktioniert jedoch nicht, wenn dort der Einfluss eines sehr erfahrenen Staates wie Großbritannien bereits vorhanden ist und dazu die EU mit Staaten wie Frankreich und Deutschland, die aufstreben, um Großbritannien einzuholen. Daher stellen solche Aktionen vonseiten der USA gegenwärtig keine Durchdringung des britischen bzw. europäischen Einflusses in Tunesien dar. Denn Tunesiens Armee ist ziemlich klein und spielt nur eine untergeordnete Rolle in der Politik des Landes. Daher brauchen die USA, um als Akteur in Tunesien eine Rolle zu spielen, mehr Zeit, um einerseits nach loyalen Vasallen zu suchen und um andererseits die Kapazitäten der Armee auszubauen. Und das kann dauern. Mit anderen Worten: Die USA spielen bis dato keine Rolle als Akteur in Tunesien. Sie haben eher einen generellen Part als Verfechter von Demokratie und Menschenrechten! Nichtsdestotrotz werden die USA nicht aufhören, zu versuchen, in Tunesien einzudringen.

b) Großbritannien: Die Briten hatten schon vor dem Ausbruch der Revolution in Tunesien alle Fäden des Landes in der Hand. Sie lenkten das Land aus dem Hintergrund heraus. Das taten sie mittels ihres Vasallen Zine el-Abedine Ben Ali und seines Vorgängers Habib Bourgiba. Auf dem tunesischen Feld hatten sie es mit keinem echten Rivalen internationalen Kalibers zu tun. Mehr noch, sie haben oppositionelle Parteien offen unter ihre Obhut genommen. So nahmen sie etwa den Chef der Nahda-Bewegung Rachid al-Ghannouchi bei sich auf, um die „islamische“ Opposition zu vereinnahmen und diese wichtige Karte bei Bedarf einzusetzen. Die Briten konnten in Tunesien schalten und walten, wie sie wollten. 2015 hat die britische Botschaft in Tunis die Adam Smith International Consulting Company mit der Beratung der tunesischen Regierung beauftragt und ebenso damit, hochrangige Offiziere zu trainieren, politische Strategien zu formulieren und neue Gesetze einzuführen. Des Weiteren wurde Aktis Strategy Ltd, ein Entwicklungsunternehmen, das für das britische Außen- und Commonwealth-Büro Verträge in Millionenhöhe verwaltet, nach Tunesien geholt. Darüber hinaus dominierte Großbritannien das politische Establishment in Tunesien, angefangen bei Habib Bourgiba, über Ben Ali bis hin zu Beji Essebsi, der 2012 die Partei „Nidaa Tounes“ gründete. Essebsi war ein Weggefährte Bourgibas und ein Verbündeter Ben Alis. Er bündelte alle alten säkularen Kräfte, die die Briten für eine Zusammenarbeit instrumentalisierten. Indem sie das politische Establishment kontrollierten, hatten die Briten für die Beibehaltung ihrer Hegemonie im Lande gesorgt. Zwar hatten sie mit dem Verschwinden Ben Alis ihren starken Vasallen im Land verloren, jedoch nicht das Regime als Ganzes, denn sie hatten noch zahlreiche Getreue innerhalb und außerhalb des Staates. Doch ihr politischer Einfluss in Tunesien war nun schwächer als zuvor. Auch die Rückkehr Ghannouchis als treuer Gefolgsmann der Briten nach Tunesien hat diese Schwächung nicht aufhalten können. Denn die Mitglieder und Kader der Nahda-Partei stehen nicht geschlossen hinter ihm als Parteiführer, da er säkularistisch geworden ist. So gibt es innerhalb der Nahda-Partei die Aufrichtigen, und es gibt jene, die auf die Türkei und deren Präsidenten Erdogan vertrauen. Das alles stand den Briten im Weg, um die Reihen ihrer Getreuen schließen zu können. Mehr noch, der US-treuen Türkei wurde damit der Weg geebnet, Einfluss in der Nahda-Partei zu bekommen und Ghannoushi als Parteichef von innen heraus zu bedrohen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, begann die Nahda, ihren „islamistischen“ Charakter zu reduzieren, um besser von den säkularen Kräften akzeptiert zu werden. Also koppelte sie den Bereich „Dawa“ vom Bereich „Politik“ ab und verbündete sich 2014 mit der Partei „Nidaa Tounes“, um eine breite parlamentarische Front zur Unterstützung des britischen Vasallen Essebsi zu bilden. Doch Ghannouchis Partei konnte ihre Stärke nicht halten. Vielmehr kam es zu Spaltungen. Und bei genauem Blick auf die Haltung der Briten, lässt sich erkennen, dass die Ereignisse in Tunesien sie schockiert haben. Aljazeera.net verwies am 27.07.2021 auf einen Artikel der britischen Zeitung The Guardian mit der Überschrift „The Guardian zum Putsch in Tunesien: Der Frühling wandelt sich zum Winter.“ Tunesien erlebe gerade eine Gegenrevolution, heißt es im Artikel. Die Erstürmung der Fernsehanstalten durch Sicherheitskräfte sei definitiv kein gutes Zeichen. Die Zeitung konstatierte, dass die „Bürger sich gleichgültig verhalten und illiberale Konzepte akzeptieren, weil Freiheit und Demokratie weder politische Stabilität noch einen wirtschaftlichen Aufschwung gebracht haben“. Stattdessen gebe es weiter Korruption, Inflation und Arbeitslosigkeit. Ein Drittel der tunesischen Familien befürchtete im vergangenen Jahr, dass die Corona-Pandemie zu einer Nahrungsmittelknappheit führen würde. Geleakten Dokumenten zufolge sei die Regierung im Zuge von Verhandlungen mit dem IWF bereit gewesen, für ein 4-Milliarden Dollar-Kreditprogramm, die Subventionen für Brot aufzuheben. Es wäre der vierte binnen zehn Jahren gewesen. Der Zorn über den Umgang der Regierung mit der Pandemie habe sich nur wegen der Höhe der Staatsverschuldung so verstärkt, da die Kreditzahlungen inzwischen das Sechsfache des Gesundheitsbudgets des Landes verschlingen. Das heißt, das Regime stand mittels des Internationalen Währungsfonds unter dem Druck der USA, die darauf aus sind, ihre Präsenz in Tunesien durch solche Druckmittel zu verstärken.

All das verdeutlicht, dass Großbritanniens Einfluss in Tunesien in der Tat nachgelassen hat. Und mit diesen Entwicklungen hat Frankreich für sich eine Tür gefunden, um mit Wucht in Tunesien einzudringen. Die Briten nahmen jedoch an, dass der Einfluss Frankreichs ihnen nicht gefährlich werden würde, weil es sonst immer auf eine Kooperation mit Frankreich hinauslief, insbesondere dann, wenn es darum ging, Amerikas Einfluss zurückzudrängen. Darin waren sich die beiden Staaten bislang einig. Doch der Brexit hat eine tiefe Kluft zwischen ihnen geschaffen, und keiner der beiden Staaten macht Anstalten, sie zu überwinden. Vielmehr hat sich eine Reihe von EU-Staaten, insbesondere Deutschland, ähnlich positioniert wie Frankreich: Sie bezeichneten die Vorkommnisse in Tunesien, anders als britische Medien, nicht als Putsch. So erklärte die Sprecherin des Auswärtigen Amtes, Maria Adebahr, am heutigen Montag, Berlin sei über die Eskalation der politischen Unruhen in Tunesien besorgt und rufe zur Wiederherstellung der verfassungsrechtlichen Ordnung im Land auf. Von einem Putsch wolle die Bundesregierung aber nicht sprechen. (Sputnik, 26.07.2021)

c) Frankreich: Was Frankreichs Position betrifft, so ist sie von allen die bemerkenswerteste:

- Der neugewählte Präsident Kais Saied war ein großer Antikolonialist. Mit seinen revolutionären Äußerungen stieß er bei den Tunesiern auf Akzeptanz, die ihn in der Hoffnung wählten, er würde die „alte Garde“ beseitigen, die auch nach der Revolution auf die ein oder andere Weise noch das Sagen im Staat hatte. Als Saied im November 2019 sein Amt antrat, war er als Präsident zunächst noch unabhängig. Doch als sich in ihm der Gedanke einzunisten begann, dass man sich auf eine internationale Macht stützen müsse – und Beispiele solcher Personen gibt es viele – stand Frankreich mit offenen Armen bereit. So erwachte in Frankreich der Traum nach einer Rückkehr Tunesiens als aktiver Teil in seiner frankophonen Ordnung. Dass es Frankreich tatsächlich gelungen ist, Kais Saied zu ihrem Vasallen zu machen, wird durch folgende Punkte belegt:

- Das tunesische Parlament hatte sich in zwei Lager gespalten: In das Lager der Saied-Anhänger und das der Saied-Gegner, die den größeren Teil ausmachen. Die Partei „Koalition der Würde“, die mit der Nahda-Partei im Anti-Saied-Lager ein Bündnis gebildet hatte und im tunesischen Parlament besonders frankophob auftritt, hatte damit begonnen, für Störungen innerhalb der französisch-tunesischen Beziehungen zu sorgen. Diese Partei schlug vor, parlamentarisch über die Forderung nach einer „Entschuldigung Frankreichs“ für seine Kolonialzeit in Tunesien abstimmen zu lassen. Ein solcher Vorschlag kam unter der Amtszeit Essebsis oder Marzoukis nicht vor, was beweist, dass die Gegner Saieds sowohl ihn als Präsidenten als auch Frankreich, was seine Beziehungen zu Tunesien betrifft, in Bedrängnis bringen und an Frankreichs koloniale Verbrechen erinnern wollten. Doch im Gegensatz zu seinem Standpunkt während des Wahlkampfs trat Saied beinahe als Verteidiger Frankreichs auf. So sagte er: „Wer sich entschuldigt, verurteilt sich selbst“, bevor er hinzufügte „Lasst uns in die Zukunft schauen.“ Frankreich habe in Tunesien Verbrechen begangen, doch unter einer Protektoratsordnung, nicht unter dem direkten Kolonialismus, so wie im Falle Algeriens. Er fügte hinzu, dass die Tunesier für ihre Unabhängigkeit einen teuren Preis bezahlt und eine Entschuldigung verdient hätten. Eine öffentliche Entschuldigung sei jedoch nicht ausreichend. „Vielleicht eine Entschuldigung zusammen mit Projekten und möglicherweise eine neue Zusammenarbeit“, fuhr er fort. Auch sei die Liste mit der Entschuldigungsforderung seiner Meinung nach nicht arglos. So fragte er sich: „Warum fordern wir nach 60 Jahren Entschuldigungen?“ (Ultra Tunis Website, 23.06.2021)

- Kais Saied wählte nach seinem Amtsantritt im Juni 2020 Frankreich als sein erstes Ziel in Europa, um so die Stabilität der Beziehungen mit Paris zu festigen. (Anadolu, 04.06.2021) Noch vor der Reise des tunesischen Präsidenten nach Paris und zeitnah zu dieser strömten hochrangige französische Beamte nach Tunesien, was auf die Besonderheit der Beziehungen nach der Amtsübernahme von Kais Saied hindeutet: Von diesem Blickwinkel aus könnte die Einladung des Präsidenten nach Frankreich ein Auftakt für militärische Kooperationsprojekte zwischen den beiden Ländern sein, zumal diesem Besuch ein Besuch des französischen Verteidigungsministers nach Tunesien im Mai 2020 vorausging und davor ein Besuch des Generalstabschefs der französischen Bodentruppen. Über die Inhalte dieser Visiten sind keinerlei Berichte durchgesickert, außer den üblichen Sätzen, dass es um Angelegenheiten gemeinsamer Interessen ging. (Aljazeera, 18.06.2020)

- Frankreich entsandte unablässig hochrangige Beamte nach Tunesien, immer wenn sich in Tunesien die Krise verschärfte und sich damit einhergehend der Bedarf nach französischer Unterstützung verstärkte: Der französische Premierminister Jean Castex traf am Mittwochabend in Begleitung von sechs Ministern zu einem Besuch in Tunesien ein, der bis Donnerstag gehen soll. Ziel ist die Stärkung der Beziehungen zu dem afrikanischen Land, das zahlreiche Krisen durchlebt und unter der Last der Corona-Pandemie leidet. In den Gesprächen wird es um die Themen „Wirtschaftspartnerschaft“, „Förderung“ und „Gesundheitskrise“ gehen. Der Besuch wird ebenfalls die Unterzeichnung von Vereinbarungen umfassen sowie die Besichtigung eines Bauprojekts zum Aufbau eines tunesischen Hochgeschwindigkeitsnetzes und ein von tunesischen und französischen Geschäftsleuten organisiertes Treffen im Bereich Digitalisierung. (France 24, 02.6.2021)

- Der tunesische Präsident nahm an dem von Frankreich organisierten afrikanischen Wirtschaftsgipfel in Paris teil. (Sputnik, 22.05.2021) Es wurde über kein einziges außenpolitisch relevantes Ergebnis für Tunesien berichtet, mit Ausnahme der Zusage zu einigen Impfstoff-Dosen. Das ist ein Hinweis darauf, dass der Zweck der Reise darin bestand, mit Präsident Macron die interne Lage Tunesiens zu besprechen, denn in den französischen Medien nahm Saied ausführlich Stellung zur Situation in Tunesien. Möglicherweise war der Besuch Saieds eine Reaktion auf die Reisen Ghannouchis nach Katar, die von diesem als „parlamentarische Diplomatie“ bezeichnet wurden. Das heißt, jeder der beiden stärkt sich durch seinen jeweiligen Herrn und Meister bzw. durch seinen Vasallen-Genossen.

- Frankreich versprach Tunesien, bis zum Jahr 2022 1,7 Milliarden Dollar in Form von Hilfsleistungen und Krediten zur Verfügung zu stellen. Das soll dem Land zur Finanzierung von Projekten im Gesundheitsbereich und zur Schaffung von Arbeitsplätzen dienen. Frankreichs Präsident Macron sagte während des Paris-Besuchs des tunesischen Präsidenten Kais Saied Mitte 2020 einen Kredit von 350 Millionen Euro zu. (The New Arab, 11.02.2020)

- Der Sender Aljazeera zitierte am 28.07.2021 den französischen Außenminister Le Drian, der in einem der deutlichsten offiziellen Statements Frankreichs erklärte: „Frankreich verfolgt mit allerhöchstem Interesse die Entwicklungen in Tunesien.“ Das französische Außenministerium hatte am Mittwoch mitgeteilt, dass „Le Drian heute mit seinem tunesischen Amtskollegen Othman Jerandi telefoniert“ habe, so Russia Today am 28.07.2021. Demnach habe Le Drian „die Notwendigkeit der schnellen Nominierung eines Ministerpräsidenten und der Bildung einer Regierung“ bekräftigt, „die in der Lage ist, den Erwartungen der Tunesier gerecht zu werden, angesichts der Krise, die das Land durchmacht“.

Fazit: Alle Anzeichen in diesem lodernden internationalen Konflikt in Tunesien sprechen dafür, dass es sich um eine Auseinandersetzung zwischen Großbritannien handelt, mit seinem alteingesessenen, großen Einfluss in Tunesien, und Frankreich, das über einen neuen, noch instabilen Einfluss verfügt. Die USA sind noch zu weit davon entfernt, ein Schwergewicht in diesem Konflikt zu bilden, auch wenn Frankreich und seine Vasallen sich über die USA und deren Vasallen in der Region gegenüber Großbritannien in Tunesien zu stärken versuchen. Daher ist zu beobachten, dass die Franzosen ihre tunesischen Vasallen nach Ägypten zum US-Vasallen hintreiben. Doch Ägyptens Einfluss in Tunesien ist weitaus geringer als der Einfluss der Großbritannien-Vasallen im Nachbarstaat Algerien. So galten die Andeutungen, die vom algerischen Präsidenten kamen, Tunesien und den tunesischen Beziehungen zu Frankreich, als er sagte, Frankreich nehme Algerien sehr ernst. Er reagierte damit auf die Frage eines Journalisten, ob Frankreich noch immer Algerien als französische Provinz ansehe. Um das richtigzustellen antwortete er: „Nein, nein. Sie meinen einen anderen Staat, dem sie Befehle geben und er dann schweigt und ausführt.“ Manch einer verstand aus den Worten des algerischen Präsidenten eine Anspielung auf Tunesien, besonders nach der Äußerung des tunesischen Präsidenten Saied während seines Frankreich-Besuchs, wonach Tunesien nicht dem Kolonialismus unterstand, sondern einem Protektorat. (Al-Hosary Website, 08.07.2021)

All diese Positionen auf internationaler Ebene zeigen deutlich, dass Frankreich dabei ist, den Briten die Macht in Tunesien streitig zu machen. Doch die Auseinandersetzung findet unter Europäern statt. Die USA sind nicht Teil dieses Konflikts. Daher können wir das Geschehen in Tunesien im fachlichen Sinne nicht als internationalen Konflikt bezeichnen, denn die USA sind darin nicht aktiv involviert. Es ist, wie bereits erwähnt, ein innereuropäischer Konflikt, an dem besonders Frankreich und Deutschland auf der einen und Großbritannien auf der anderen Seite beteiligt sind. Er wird sich daher nicht zu einem Dauerkonflikt entwickeln, vielmehr wird man wieder zu einer versöhnlichen Formel zurückfinden. Großbritanniens Einfluss wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aus Tunesien verschwinden, schließlich beherrschen die Briten - im Gegensatz zu Frankreich - die politische Verschlagenheit. Nichtsdestotrotz bitten war Allah, den Starken und Mächtigen, ihre Zwietracht untereinader zu verstärken und uns damit zu ehren, das Kalifat durch unsere Hände zu errichten, sodass dem Islam und den Muslimen zu Größe verholfen wird und der Unglaube und die Ungläubigen Erniedrigung erfahren.

(وَيَوْمَئِذٍ يَفْرَحُ الْمُؤْمِنُونَ * بِنَصْرِ اللَّهِ يَنْصُرُ مَنْ يَشَاءُ وَهُوَ الْعَزِيزُ الرَّحِيمُ)

An jenem Tag werden die Gläubigen froh sein, über Allahs Hilfe. Er hilft, wem Er will, und Er ist der Allmächtige, der Barmherzige.(30:4-5)

22. Ḏū-l-Hiǧǧa 1442 n. H.
1. August 2021 n. Chr.
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