Media Office
H. 28 Sha'aban 1438 | No: 48 |
M. Donnerstag, 25 Mai 2017 |
Stellungnahme zum Leitkultur-Diskussionsbeitrag
des Bundesinnenministers Thomas de Maizière
Am 30.04.2017 veröffentlichte die „Bild am Sonntag“ einen Diskussionsbeitrag von Thomas de Maizière unter dem Titel „Leitkultur für Deutschland – Was ist das eigentlich?“. Nachdem der Bundesinnenminister in der Einleitung die Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie begrifflich als „Verfassungspatriotismus“ zusammengefasst hat, legt er durch den Satz „Es gibt noch mehr“ die grundsätzliche Prämisse für die weitere Diskussion fest, die sich an zehn über das Grundgesetz hinausgehende Thesen zu orientieren habe.
Bereits in Punkt 1 findet er klare Worte, die unverblümt den thematischen Fokus setzen: „Wir legen Wert auf soziale Gewohnheiten, nicht weil sie Inhalt, sondern weil sie Ausdruck einer bestimmten Haltung sind: Wir sagen unseren Namen. Wir geben uns zur Begrüßung die Hand. Bei Demonstrationen haben wir ein Vermummungsverbot. „Gesicht zeigen“ – das ist Ausdruck unseres demokratischen Miteinanders. Im Alltag ist es für uns von Bedeutung, ob wir bei unseren Gesprächspartnern in ein freundliches oder ein trauriges Gesicht blicken. Wir sind eine offene Gesellschaft. Wir zeigen unser Gesicht. Wir sind nicht Burka.“ Während darauffolgende Thesen Bildung und Erziehung, das Leistungsprinzip, das kollektive Geschichtsverständnis und das säkulare Verhältnis von Staat und Kirche thematisieren, ist es die klare Abgrenzung gegenüber der islamischen Kultur, um die sich der aktuelle Diskurs dreht.
Die auf den ersten Blick harmlos anmutende Feststellung „Wir sagen unseren Namen. Wir geben uns zur Begrüßung die Hand“ entpuppt sich bei genauer Betrachtung als raffiniert verpackte Unterstellung gegenüber den in der Bundesrepublik lebenden Muslimen. Das menschliche Urbedürfnis nach sozialer Interaktion und Kommunikation wird mit der Begrüßung durch die Hand in einen elementaren Zusammenhang gesetzt. Hierdurch wird suggeriert, dass die Muslime durch ihre abweichende Begrüßungskultur die vertrauten Formen des gesellschaftlichen Miteinanders zersetzen würden.
Diese niederträchtige Botschaft erreicht durch die Ausführungen de Maizières „Bei Demonstrationen haben wir ein Vermummungsgebot. […] Wir zeigen unser Gesicht. Wir sind nicht Burka.“ ihren vorläufigen Höhepunkt. Die Erwähnung der Burka in Verbindung mit dem Vermummungsverbot auf Demonstrationen zielt darauf ab, den islamischen Gesichtsschleier in ein inverses Verhältnis zu einem weiteren Urinstinkt, dem Sicherheitsbedürfnis, zu setzen. Auf perfide Weise wird der Niqab mit vermummten Randalierern assoziiert, die im Schwarzen Block marschieren und sich Straßenschlachten mit der Polizei liefern. Insgesamt konstruiert der Bundesinnenminister durch die gewählten Formulierungen den Vorwurf, Muslime würden durch das Festhalten an islamischen Kleidungs- und Umgangsregeln ein subversives Verhalten an den Tag legen, das die gesellschaftliche Substanz und Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet.
Das gewählte Boulevardblatt und die rustikale Rhetorik lassen die ohnehin gefährliche Botschaft noch explosiver erscheinen. Ganz bewusst bedient der Unionspolitiker hierdurch eine Klientel, die noch vor kurzem als „Bodensatz der Gesellschaft“ bezeichnet wurde. Ängste und Sorgen sowie die gefühlte Wahrheit sogenannter Wutbürger werden durch das Thesenpapier de Maizières konkretisiert und bestärkt. Es ist ein Armutszeugnis, dass sich gerade der Innenminister – dem das Ressort der inneren Sicherheit anvertraut wurde – als geistiger Brandstifter betätigt und so die soziopolitischen Gräben in der Bundesrepublik auf unverantwortliche Weise vertieft.
Den Offenbarungseid hebt sich de Maizière jedoch bis zum Ende auf: „Kann eine Leitkultur vorgeschrieben werden? Ist sie verbindlich? Nein. Wie es der Name Kultur schon sagt, geht es hier nicht um vorgeschriebene Regeln. Leitkultur prägt und soll prägen.“ Zum einen formuliert der Innenminister ein eindringliches Plädoyer zur Wahrung des gesellschaftlichen Friedens durch eine kulturelle Homogenisierung, gesteht sich jedoch zum anderen ein, dass erzwungene Assimilierung nicht durch das Grundgesetz gedeckt ist. Hierdurch fördert er einen latent gefährlichen, ja sogar gewalttätigen Modus Operandi, in dem sich „besorgte Bürger“ dazu berufen fühlen, die vermeintliche Islamisierung Europas mit allen Mitteln abzuwenden. Die von ihm regelmäßig unter Krokodilstränen präsentierte Wachstumsrate rechter Gewalttaten dürfte im Jahr 2017 so ihren neuen Negativrekord erreichen.
Auch wenn dieser und ähnliche Vorstöße vor dem Hintergrund des bevorstehenden Bundestagswahlkampfs zu sehen sind, begreift Hizb-ut-Tahrir die von Thomas de Maizière losgetretene Leitkultur-Debatte darüber hinaus als Sinnbild der destruktiven Integrationspolitik der vergangenen 15 Jahre. Eine Politik, die darauf ausgerichtet ist, die eurozentrische Weltanschauung zu verabsolutieren und die in Deutschland lebenden Muslime einem Wertediktat zu unterwerfen. Anstatt den sozialen Frieden zu fördern hat diese Agenda die gesellschaftliche Polarisierung in ungeahnte Ausmaße gesteigert. Rechtspopulismus, Hass und Militanz sind das Ergebnis dieser verfehlten Minderheitenpolitik.
Hizb-ut-Tahrir fordert die Bundesregierung und die deutsche Gesellschaft im Allgemeinen zu einem dringend nötigen Kurswechsel auf und plädiert für eine vernünftige Lösung, die der derzeitigen Negativspirale ein Ende setzt. Durch die Fokussierung auf die objektiv nachvollziehbare Forderung einer jeden Gesellschaft nach Sicherheit und Rechtstreue muss das Verhältnis zwischen Muslimen und Mehrheitsgesellschaft auf eine solide Basis gestellt werden. Gleichzeitig fordert Hizb-ut-Tahrir ein Ende der menschenverachtenden Integrationspolitik, welche die Stigmatisierung islamischer Überzeugungen und Riten institutionalisiert. Statt dessen muss den in Europa lebenden Muslimen das Recht der eigenen religiösen und weltanschaulichen Gesinnung und Lebensweise explizit eingeräumt werden. Nur auf diese Weise kann das gegenwärtige Spannungsverhältnis gelöst und eine konfliktfreie Zukunft gestaltet werden.
﴾يَاأَيُّهَا الَّذِينَ آمَنُوا كُونُوا قَوَّامِينَ بِالْقِسْطِ شُهَدَاءَ لِلَّهِ وَلَوْ عَلَى أَنْفُسِكُمْ أَوِ الْوَالِدَيْنِ وَالْأَقْرَبِينَ﴿
Ihr, die ihr glaubt, seid Wahrer der Gerechtigkeit, Zeugen für Allah, auch wenn es gegen euch selbst oder die Eltern und nächsten Verwandten sein sollte! (4:135)
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