Sonntag, 22 Jumada al-awwal 1446 | 24/11/2024
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Das Verständnis von Wert

بسم الله الرحمن الرحيم

  •  Im Namen Allahs des Erbarmungsvollen des Barmherzigen
  • Antwort auf eine Frage
  • Das Verständnis von Wert
  • An Abū Muḥammad aš-Šaiḫ Ḥāmid
  • Frage:

As-salāmu ʿalaikum wa raḥmatullāhi wa barakātuh!

Unser ehrwürdiger Scheich, möge Allah dich segnen, dich unterstützen und dich zum Erfolg führen!

Ich habe einige Fragen über das Verständnis von Wert. Der Wert ist (definitionsgemäß) der Grad des Nutzens, der in einer Sache vorhanden ist, unter Beachtung des Seltenheitsfaktors.

1. Was sind die Mittel bzw. Instrumentarien, auf die ich mich als Fachmann für eine bestimmte Ware stützen kann, um den Nutzen (bzw. Nutzbarkeiten) dieser Ware feststellen zu können?

2. Erfolgt die Feststellung der Nutzbarkeiten ausschließlich durch die Beschreibung der Zweckmäßigkeit oder werden sie durch Gold bzw. durch Silber oder auch durch den entsprechenden Aufwand bemessen? Ist es möglich, dazu ein Beispiel zu nennen?

3. Hat der in der Ware vorhandene Nutzen einen bestimmten Wert und wie wird dieser festgelegt?

4. Wie soll ich bei der Bestimmung des Warenwertes die „Beachtung des Seltenheitsfaktors“ heranziehen? Und in welcher Beziehung steht beides zueinander?

5. Zählt die Untersuchung des Warenwertes zu den Untersuchungen des Wirtschaftssystems oder der Wirtschaftswissenschaft?

6. Welche Wichtigkeit hat die Untersuchung des Warenwertes, und welcher Nutzen ergibt sich daraus?

Schließlich bitte ich Allah, dich zu segnen, dich reichlich zu belohnen und dir den baldigen Sieg zu bescheren. Wahrlich, Er ist dessen Schutzherr und mächtig dazu - āmīn, āmīn!

Antwort:

Wa ʿalaikum as-salām wa raḥmatullāhi wa barakātuh!

Zu 1., 2. und 3.: Was die Ermittlung des Warenwertes und die Instrumentarien anbelangt, auf die man sich dabei stützten kann, so sind es die Nutzbarkeiten aus der Ware, die sich für den Menschen aus der Befriedigung seiner Grundbedürfnisse ergeben. Ebenso sind es Güter mit intrinsischem (d. h. innerem) Wert, wie Gold und Silber. Normalerweise wird der Wert einer Ware in Einheiten einer anderen Ware bemessen und nicht nach der Höhe ihres Preises. So ist z. B. der Wert eines Laib Brots höher als der eines Rauschgetränks, auch wenn letzteres einen höheren Preis erzielt usw.

Dies kann wie folgt erläutert werden: Der tatsächliche Wert einer Ware ist der Grad des Nutzens, der sich in der Ware befindet. Dieser Wert steht fest und ändert sich nicht, da der Nutzen der Ware selbst innewohnt. Wenn wir z. B. den Warenwert bei einer bestimmten Geschäftsbeziehung ermitteln wollen, so nennt man dies den tatsächlichen Wert, auf den man sich auch bei Rechtsstreitigkeiten bezieht. Der Wert wird in diesem Falle in einer Ware bemessen, die beiden Parteien zum Bemessungszeitpunkt bekannt ist. Oder aber die Bemessung erfolgt in einer Geldeinheit, die von beiden Seiten anerkannt wird und einen intrinsischen Wert besitzt, wie etwa Gold oder Silber. So sagen wir z. B.: „Die Ware hat einen Wert von soundso viel Kilogramm Weizen oder von soundso viel Gramm Gold oder Silber.“ Das bedeutet, dass die Wertermittlung in einer Wareneinheit erfolgen muss, die selbst einen intrinsischen Wert besitzt. Die Ermittlung darf also nicht in einer Einheit ohne inneren Wert geschehen, wie z. B. in Fiatgeld (Papiergeld, das nicht durch Gold und Silber gedeckt ist). Diese Wertermittlung erfolgt durch den Vergleich des Nutzens der zu untersuchenden Ware mit dem Nutzen jener Gegenstände, mit denen sie zum Erhebungszeitpunkt bemessen wird. Ungeachtet dessen, ob der tatsächliche oder der effektive Wert einer Ware ermittelt wird, so ist dieser auf jeden Fall gleichbleibend und ändert sich nach dem Zeitpunkt der Bemessung nicht mehr, weil der Wert einer Ware stets konstant bleibt.

4. Was „die Beachtung des Seltenheitsfaktors“ anbelangt, die in der Definition erwähnt wird, wie sie herangezogen werden soll und inwiefern sie mit der Festlegung des Warenwerts in Zusammenhang steht, so haben wir diese Frage bereits beantwortet. Im Folgenden geben wir dir die Antwort wieder:

Die Definition des Wertes als der Grad des Nutzens, der in einer Sache enthalten ist, unter Beachtung des Seltenheitsfaktors, ist richtig. Es ist ebenso richtig, dass der Seltenheitsfaktor nicht Teil der Wertbemessung ist.Warum er trotzdem erwähnt wird, ergibt sich aus folgender Erläuterung:

Die Beachtung des Seltenheitsfaktors ist nicht Teil der Wertermittlung (d. h., sie wird bei der Wertermittlung selbst nicht herangezogen), sie dient vielmehr der Wahrung und Behütung des Wertes und dem Achtgeben darauf.Wenn du beispielsweise einen Laib Brot besitzt und den darin vorhandenen Nutzen - also dessen Zutaten, Eigenschaften und Nutzungsmöglichkeiten - feststellen möchtest und dieser Brotlaib selten ist, so wirst du gewiss darauf Acht geben. Du wirst vielleicht ein Viertel davon am Morgen und ein zweites Viertel am Abend essen. Am nächsten Tag wirst du gleichermaßen vorgehen. Fällt dir ein Stück davon herunter, dann wirst du dich beeilen, es aufzuheben.Hast du jedoch eine große Zahl solcher Brotlaibe bei dir, dann wirst du - obwohl der darin befindliche Nutzen, also der Wert des Brotlaibs, derselbe ist - nicht so darauf Acht geben wie im ersten Fall. Fällt dir ein Stück herunter, wirst du es wahrscheinlich nicht aufheben, und einen ganzen oder vielleicht sogar zwei Laibe davon an einem Tag verspeisen.

Deshalb fügt das Buch bei der Erläuterung des Themas der Formulierung „unter Beachtung des Seltenheitswertes“ den Nachsatz „zu diesem Zeitpunkt“ hinzu. So heißt es auf S. 42 (deutsche Ausgabe) unten:„Denn der Wert einer Ware wird mit dem Grad des Nutzens bemessen, der in ihr enthalten ist, unter Beachtung des Seltenheitsfaktors zu diesem Zeitpunkt.“ D. h., zum Zeitpunkt der Wertbemessung. Das bedeutet, dass der Wert einer Ware der in ihr enthaltene Nutzen ist, wobei der Seltenheitsfaktor aus einem anderen Grund beachtet wird, der sich von der Wertermittlung selbst unterscheidet. Er wird vielmehr bei der Wahrung und Behütung des Wertes beachtet, da die Ware wegen ihrer Seltenheit bei Verlust nur schwer zu ersetzen wäre. Die Beachtung des Seltenheitsfaktors ist wichtig, um die Werte der Güter nicht zu vergeuden, sondern maßvoll zu benutzen. Darüber hinaus nützt die Beachtung des Seltenheitsfaktors beim Vergleich der konstanten Werte mit den sich gemäß dem Seltenheitsfaktor nach oben und unten verändernden Preise.“ (21.04.2007)

5. Ob die Wertermittlung zu den Untersuchungen des Wirtschaftssystems oder der Wirtschaftswissenschaften zählt, ist vom Kontext der Untersuchung abhängig. Geht es um das wissenschaftliche Thema, d. h., um die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Preis und Wert, so fällt die Untersuchung in den Bereich der Wirtschaftswissenschaften (die nach unserer Definition unabhängig von der Weltanschauung sind), wie z. B. die Aussage: Der Wert ist der Grad des Nutzens, der in der Ware selbst vorhanden ist. Und der Preis ist der Betrag, der für die Ware bei deren Kauf bezahlt wird, ungeachtet dessen, ob sie einen Nutzen oder keinen Nutzen besitzt. Hier werden die Begriffe lediglich von ihrer Definition her gegenübergestellt.

Bezieht sich die Untersuchung hingegen auf die Anwendung, so ist sie Teil des Wirtschaftssystems, wie z. B.: Jemand leiht sich eine bestimmte Ware aus, die einen Wert von hundert Golddinar besitzt. Dies wird vertraglich so fixiert. Bei Rückerstattung kann er die Ware selbst zurückgeben oder den Betrag von hundert Golddinar, sollte die Ware zerstört worden sein. Denn der Wert einer Ware ist gleichbleibend und ändert sich nicht mit Zeit und Ort. Es ist ihm jedoch nicht erlaubt, mit den hundert Dinar eine Ware derselben Art zu kaufen, da sich der Preis verändern kann und es keine Bedingung ist, dass man mit den hundert Dinar dieselbe Ware erwirbt. Wird hingegen im Vertrag fixiert, dass die Ware einen Preis von hundert Golddinar hat, so kann er bei Rückerstattung die Ware selbst zurückgeben, oder - wenn sie zerstört wurde - hundert Dinar aushändigen oder aber eine Ware derselben Art um hundert Dinar kaufen, sei sie nun von besserer oder schlechterer Qualität. Denn der Preis ist nicht gleichbleibend und kann sich mit Ort und Zeit ändern. Allerdings müssen beide Vertragspartner die unterschiedliche Bedeutung von Preis und Wert verstehen, ansonsten muss in der Angelegenheit eine Schlichtungsstelle oder ein Gericht angerufen werden. Auch muss man wissen, dass der Wert nur in Waren bemessen wird, die einen Nutzen haben, oder in einer Währung mit intrinsischem Wert. Er darf z. B. nicht in ungedecktem Papiergeld bemessen werden, da der Wert konstant bleiben muss. Der Preis kann hingegen dem Wert entsprechend bemessen werden oder auch in Papiergeld, da Preise sich ändern können. Bei der Preisermittlung ist es also zulässig, Gold- oder Silberwährung oder auch Papiergeld heranzuziehen.

6. Die Wichtigkeit der Untersuchung des Wertes einer Ware ergibt sich aus der Unterscheidung zwischen der Unveränderlichkeit des Wertes, der sich ja aus den in der Ware vorhandenen Nutzbarkeiten ergibt, und der Veränderlichkeit des Preises, dessen Ermittlung auf Basis der Verfügbarkeit nicht von den Nutzbarkeiten der Ware abhängt. Die Nutzbarkeiten ergeben sich aus der Befriedigung der Grundbedürfnisse des Menschen und aus dem intrinsischen Wert, der (einigen) Waren innewohnt. Wenn du das Thema der Fixierung der Brautgabe mit dem Wert oder mit dem Preis im Buch „Das Wirtschaftssystem im Islam“ nachliest und dir das oben angeführte Beispiel unter 4. vor Augen führst, so kannst du die Wichtigkeit der Untersuchung des Wertes erkennen. Dadurch wird nämlich das Augenmerk bei den wirtschaftlichen Untersuchungen auf diese zwei Faktoren gelenkt:

- Setzt man dabei den Fokus auf den Wert der Waren - wobei ihr Wert entweder dem Nutzen entspricht, der sich aus ihrer Befriedigung der natürlichen Grundbedürfnisse des Menschen ergibt, oder er entspricht dem intrinsischen Warenwert -, so wird das Augenmerk (automatisch) auf die nützlichen Waren gerichtet. Mit anderen Worten wird die Untersuchung auf jene Dinge gelenkt, die für die Menschen nützlich sind. Dies stellt sodann die Grunduntersuchung dar, wobei die Untersuchung des Preises ihr angeschlossen ist. Das Augenmerk wird somit nicht auf die schädlichen Güter gerichtet, auch wenn diese einen hohen Preis erzielen, weil sie bar jeden Wertes sind.

- Wird hingegen die Preisuntersuchung zur Grundlage erhoben, wobei die Wertuntersuchung ihr angeschlossen ist, so wird das Augenmerk (automatisch) auf die teuren Waren gelenkt. Diese werden als wertvoll angesehen, auch wenn es sich um schädliche Güter handelt wie Rauschgetränke oder Drogen. Sie gelten aber als wertvoll, weil sie einen hohen Preis erzielen und große Einnahmen gewährleisten.

Setzt man also das Augenmerk bei der wirtschaftlichen Betrachtung auf die Werte und danach - angeschlossen an diese Werte - auf die Preise, so wird sich Vortrefflichkeit und Ruhe unter den Menschen ausbreiten. Konzentriert man sich bei der Wirtschaftsbetrachtung hingegen auf die Preise und blickt danach - angeschlossen an die Preise - auf die Werte, so werden teure Waren als hochwertig angesehen, obwohl sie für die Gesellschaft schädlich sein können. Durch so eine Betrachtungsweise wird sich Not und Schlechtigkeit unter den Menschen ausbreiten.

Ich hoffe, dass dir der Sachverhalt klargeworden ist.

Euer Bruder ʿAṭāʾ ibn Ḫalīl Abū ar-Rašta

22. Šaʿbān 1438 n. H.

19.05.2017

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