Sonntag, 22 Jumada al-awwal 1446 | 24/11/2024
Uhrzeit: (M.M.T)
Menu
Hauptmenü
Hauptmenü
  •   |  

بسم الله الرحمن الرحيم

Im Namen Allahs des Erbarmungsvollen des Barmherzigen

Antwort auf eine Frage

Der türkisch-griechische Konflikt im östlichen Mittelmeer

Frage:

Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu enthüllte am 08.10.2020, dass es zu einer neuen Einigung zwischen seinem Land und Griechenland gekommen sei. Der Minister sagte laut der türkischen Nachrichtenseite Turkeyalaan, er habe sich mit seinem griechischen Amtskollegen Nikos Dendias auf Sondierungsgespräche zwischen den beiden Ländern verständigt. Das ging aus den Erklärungen am Rande eines Treffens mit Dendias im Rahmen seiner Teilnahme am Bratislava Global Security Forum in der Slowakei hervor. Die Türkei werde Gastgeber dieser Gespräche sein, während Griechenland Termine vorschlagen werde. (Turkeyalaan.net, 08.10.2020) Zuvor hatte es die Türkei zu einer schweren Krise in den Beziehungen zu Griechenland kommen lassen und das Land durch die Entsendung türkischer Erkundungsschiffe in Begleitung von Kriegsfregatten herausgefordert. Was steckt nun hinter der Krise zwischen der Türkei und Griechenland? Und wie sehen die wahren internationalen Positionen in dieser Krise aus? Stecken die USA dahinter oder hat die Türkei eigenmächtig gehandelt? Wie ist diese anfänglich massive Eskalation zu erklären, die dann mit einer Vereinbarung auf geplante Verhandlungen endete? Danke euch!

Antwort:

Der Blick auf die griechisch-türkische Krise muss hinsichtlich ihrer lokalen Ursachen und Auswirkungen in der Türkei erfolgen sowie im Hinblick auf ihre wirtschaftliche und internationale Dimension. Dazu müssen folgende Punkte dargelegt werden, angefangen bei dem Vertrag von Lausanne im ersten Viertel des letzten Jahrhunderts.

 

Erstens: Der Vertrag von Lausanne

1. Die Türkei verfügt über die längste Küste in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer. Doch am 24.07.1923 wurde der Vertrag von Lausanne von den Vertretern des Jahrhundertverbrechers Mustafa Kemal im Namen der in Ankara sitzenden Regierung der Großen Nationalversammlung der Türkei, die sich vom Kalifat in Istanbul abgespalten hatte, unterzeichnet. Mit diesem Vertrag wurde die Türkei in der Ägäis eingeschlossen, sodass sie sich kaum über ihre Küsten hinaus bewegen kann. Denn so gut wie alle Ägäis-Inseln gehören zu Griechenland! Dieser Status besteht, seitdem Mustafa Kemal seine Delegation zu den Alliierten in das schweizerische Lausanne entsandte, um im Namen der abtrünnigen Regierung in Ankara, die sich vom Kalifat in Istanbul losgesagt hatte, das von den Alliierten gewünschte Abkommen zu unterzeichnen! So kam es zur Unterzeichnung des Vertrages von Lausanne in der Schweiz zwischen Vertretern Großbritanniens, Frankreichs sowie anderer Staaten und der von Ismet Inönü angeführten Delegation Mustafa Kemals, die im Namen der Regierung der großen Nationalversammlung in Ankara auftrat…

2. Die Inhalte des Vertrages waren verheerend, und allen stimmte Mustafa Kemal, vertreten durch seine Delegation, zu. Dazu gehört Artikel 12, mit dem alle bzw. die meisten ägäischen Inseln Griechenland zugesprochen wurden, obgleich manche von ihnen 600 Kilometer vom griechischen Festland und nur knapp zwei Kilometer vom türkischen Festland entfernt liegen, so etwa die Insel Meis, die zu Griechenland gehört und von den Griechen Kastelorizo genannt wird. Sie liegt vor der türkischen Küstenstadt Kash, die zur Provinz Antalya gehört. Dieses Abkommen ist es, das die Griechen dazu „legitimiert“, von den Türken die Einstellung der Erdgassuche vor den türkischen Küsten zu verlangen, da dies laut Vertrag das ausschließliche Recht Griechenlands sei! Und laut Artikel 15 musste die Türkei sämtliche Rechte und Besitzansprüche auf folgende Inseln zugunsten Italiens abtreten: Stampalia (Astypalea), Rhodos, Chalki (Kharke) und andere. Mit Artikel 20 wurde zudem die bereits im November 1914 von der britischen Regierung proklamierte Annexion Zyperns durch Großbritannien von der Türkei anerkannt. In Artikel 23 heißt es außerdem, dass die (hohen) Vertragsparteien den Grundsatz der Freiheit der Durchfahrt und Schifffahrt auf See und in der Luft in Friedens- und Kriegszeiten in der Meerenge der Dardanellen ebenso wie im Marmarameer und im Bosporus anerkennen! Und so ist die Türkei, das Land mit der längsten Küste im östlichen Mittelmeer, ihrer Bewegungsfreiheit rund um die Inseln in diesen Gewässern beraubt worden, an die sich Erdogan heute als „sein gestohlenes blaues Vaterland“ erinnert! Er beklagt sich darüber, während das Portrait des Jahrhundertverbrechers Mustafa Kemal, der diesen Abtretungen in Lausanne überhaupt erst zugestimmt hatte, genau über seinem Kopf hängt. Trotz allem wagt es Erdogan nicht, Mustafa Kemal auch nur mit einem schmähenden Wort zu erwähnen! Vielmehr spielt er mit den Emotionen des türkischen Volkes, wenn er den Bohrschiffen Namen gibt, die an große osmanische Führer erinnern, wie etwa Fatih (nach Muḥammad al-Fātiḥ) oder Kanuni (nach Sulaimān al-Qānūnī, wobei diesen großartigen Führern nichts ferner liegen würde, als Erdogans ganze Politik! Erdogan teilte lautstark mit: „Alle wissen, dass die Türkei die politische, wirtschaftliche und militärische Macht hat, die ungerechten Karten und Dokumente zu zerreißen, die auf Unmoral und Wortverdrehung aufbauen.“ Sein Land sei bereit, dies durch „schmerzhafte Erfahrungen“ zu klären, „ob am Verhandlungstisch oder auf dem Schlachtfeld“. (Aljazeera, 05.09.2020) Damit begnügt er sich dann und glaubt, dass er Gutes getan habe! Vielleicht hat das türkische Volk auch mitbekommen, dass Griechenland, das fast keine effiziente Armee besitzt, ihre Soldaten zur Insel Meis geschickt hat, wohlwissend, dass laut Lausanner Abkommen dies eine entmilitarisierte Insel ist. Und trotzdem tritt Erdogan den Griechen nicht mit der gebotenen Vehemenz entgegen!

3. Obgleich es sich bei diesem Vertrag um einen verräterischen Deal handelt, den Mustafa Kemal mit den Alliierten schloss, so hat er ihn im Namen der Großen Türkischen Nationalversammlung in Ankara unterzeichnet. Doch das reichte den Briten nicht. Vielmehr noch verlangten sie von ihm die Erfüllung ausnahmslos aller von den Briten geforderten Bedingungen, in erster Linie die vollständige Abschaffung des Kalifats und die Befürwortung eines säkularen Staates. Mustafa Kemal kam dem nach und setzte dies am Morgen des 3. März 1924 in die Tat um, als er die Abschaffung des Kalifats und die Trennung von Religion und Staat verkündete. Und in derselben Nacht trug er dem Gouverneur von Istanbul auf, den Kalifen Abdulmajid zum Verlassen der Türkei aufzufordern, und das noch vor Anbruch des nächsten Morgens. So begab sich dieser Gouverneur nachts und begleitet von einem Regiment aus Polizisten und Soldaten zum Kalifenpalast und zwang den Kalifen, ein Auto zu besteigen, das ihn über die Grenze in Richtung Schweiz bringen sollte. Zwei Tage später versammelte Mustafa Kemal sämtliche Kronprinzen und Prinzessinnen und ließ sie ins Exil deportieren. Alle religiösen Ämter wurden abgeschafft und die muslimischen Stiftungen gingen in das Eigentum des Staates über. Religionsschulen wurden in zivile Schulen umgewandelt und der Aufsicht des Bildungsministeriums unterstellt. Damit hatte Mustafa Kemal alle vier von Lord Curzon (dem britischen Außenminister, Anm.) geforderten Bedingungen erfüllt, die da wären: die vollständige Abschaffung des Kalifats, die Ausweisung des Kalifen außerhalb des Landes, die Beschlagnahmung seines Vermögens und die Ausrufung eines laizistischen Staates. Der Lausanner Vertrag, der vor der Abschaffung des Kalifats geschlossen worden war, wurde ratifiziert und trat nach der Abschaffung des Kalifats in Kraft! Somit wurde das Abkommen von Lausanne mit der Abschaffung des Kalifats „gekrönt“. Die Staaten erkannten die Unabhängigkeit der Türkei an und die Engländer zogen aus Istanbul und den Meerengen ab. Vor diesem Hintergrund erhob sich ein britischer Abgeordneter des Unterhauses und protestierte gegen Curzon, weil dieser die Unabhängigkeit der Türkei anerkannt hatte. Curzons Antwort darauf lautete: „Die Sache stellt sich so dar, dass die Türkei erledigt ist und keine Rolle mehr spielen wird, weil wir ihre geistige Kraft zerstört haben: das Kalifat und den Islam.“ So haben die Engländer mithilfe Mustafa Kemals das Kalifat und den Islam abgeschafft - allen Muslimen der Welt und besonders den Muslimen in der Türkei zum Trotz. Und somit hörte das Regieren mit dem, was Allah herabgesandt hat, in allen Teilen der Welt auf und wird seitdem nur noch mit dem regiert, was Allahs Gesetzen widerspricht, d. h. mit dem Unglauben - kufr. Allein die Götzenherrschaft blieb übrig, die über die Menschen herrscht und weltweit implementiert wird!

Zweitens: Das ist der Vertrag, den die Vertreter Mustafa Kemals im schweizerischen Lausanne unterzeichnet hatten und der die Türkei innerhalb des Ägäischen Meeres in Ketten legte. Die ägäischen Inseln und ihre Küsten wurden Griechenland zugesprochen und der Türkei damit verboten, dort Bohrarbeiten durchzuführen! Das liegt nun fast ein ganzes Jahrhundert zurück, in dem sich die Türkei stets dem Abkommen gefügt hat. Was hat die Türkei nun zu den jetzigen Aktionen bewogen? Wer die Chronologie der Ereignisse betrachtet, gelangt zur Erkenntnis, dass zwei Faktoren für die Entstehung der Krise entscheidend sind: Ein interner Faktor, der mit der wirtschaftlichen Situation in der Türkei zusammenhängt und ein externer, hinter dem die Vereinigten Staaten stecken:

1. Der interne Faktor

a) Die Türkei ist ein Energieverbraucher und kein Produzent. Die Fördermenge des eigenen Öls lag zuletzt bei 53.000 Barrel pro Tag (Nachrichtenagentur Anadolu, 25.07.2020). Das ist, verglichen mit der importierten Menge, die bei einer Million Barrel täglich liegt (Al-arabi al-jadid, 22.04.2020), sehr wenig. Zudem produziert die Türkei etwa 475 Millionen Kubikmeter Erdgas, während sie mehr als 45 Milliarden Kubikmeter (Aljazeera.net, 31.08.2020) einführt. Entsprechend fällt die Importrechnung für Öl und Gas exorbitant hoch aus. 2019 waren 41 Milliarden Dollar fällig, weniger als ein Jahr davor, als die Ausgaben bei etwa 43 Milliarden Dollar lagen, was an den weltweit relativ niedrigen Energiepreisen lag. (Die türkische Zeitung Daily Sabah, 27.02.2020) Dieser Faktor belastet die türkische Wirtschaft enorm.

b) Aufgrund der Tatsache, dass sich die Türkei geographisch zwischen den Erdöl produzierenden arabischen Staaten sowie dem Iran und Aserbaidschan einerseits und den Erdöl konsumierenden Staaten, d. h. den europäischen Ländern andererseits liegt, hat sie sich zu einem „Transitland“ entwickelt. Darauf hat die Türkei auch ihre Energiepolitik ausgerichtet. So wurde der türkische Mittelmeerhafen Ceyhan zu einem Exporthafen für Öl aus Aserbaidschan. In und durch Ceyhan verläuft ein ganzes Netz an Pipelines, nicht zuletzt die türkische Pipeline, die russisches Erdgas in den Westen der Türkei und von dort weiter nach Europa transportieren soll. Die Eröffnung fand am 08.01.2020 statt. Doch trotz der Einnahmen aus den Transitgebühren bleiben die Öl- und Gaskosten eine ungeheure Belastung für die türkische Wirtschaft.

c) Von 2009 an begannen der Zionistenstaat und internationale Konzerne über riesige Erdgasfunde im östlichen Mittelmeer zu berichten. So wurde im Gasfeld Tamar, 80 Kilometer westlich von Haifa, 9 Billionen Kubikfuß extrahierbares Erdgas entdeckt. Einige Monate später wurde das Dalit-Feld westlich des besetzten Palästina entdeckt, das 500 Milliarden Kubikmeter Gas umfasst. 2010 wurden auf dem Jonathan-Feld im Westen Palästinas astronomische Mengen Erdgas gefunden, die ein Volumen von 16 Billionen Kubikfuß umfassen. Die amerikanische Magazin Foreign Policy schrieb damals, dass es der weltweit „größte Erdgasfund“ des Jahrzehnts sei.

d) Aus diesem Grund ergriff die Türkei die Initiative und schaffte sich ein großes, modernes Explorationsschiff aus Südkorea an. Es handelte sich um das Schiff Fatih, das 2011 erstmals in See stach, um nach Öl und Erdgas zu suchen. Das war der Auftakt zu jener Serie von Krisen zwischen der Türkei auf der einen und Zypern und Griechenland auf der anderen Seite. Der Türkei wurde vorgeworfen, in den ausschließlich zypriotischen Hoheitsgewässern zu bohren. Die Türkei hingegen rechtfertigte es damit, dass es ihr um die Rechte der türkischen Zyprioten ginge. Doch in den letzten Monaten erhöhte die Türkei bei der Suche nach Erdgas das Tempo, nachdem sie ein weiteres Forschungsschiff (für Offshore-Bohrungen) aus Großbritannien erwarb, womit sie nun im Besitz einer ansehnlichen Flotte aus Meeresbohr- und Vermessungsschiffen war. Damit war die Türkei in der Lage, Explorations- und Bohrarbeiten an mehreren Stellen gleichzeitig durchzuführen, und zwar im Schwarzen Meer, an den westlichen Küsten der Türkei sowie im östlichen Mittelmeer südlich von Zypern.

e) Für die Türkei war es also dringend erforderlich, ihre wirtschaftliche Lage über die Suche nach Öl und Gas zu verbessern. Zudem sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die türkische Wirtschaft schweren Schlägen ausgesetzt ist, deren Folgen in dem kontinuierlichen Verfall der türkischen Währung, der Lira, zu spüren sind. Dadurch sah sich Präsident Erdogan veranlasst, bei der Suche nach Erdgas aufs Tempo zu drücken, damit sich ein Hoffnungsschimmer für die Wirtschaft findet und er seine sinkende Popularität angesichts der Talfahrt der türkischen Lira noch aufhalten kann. Auch die Meuterei führender Köpfe in seiner Partei, die ihrerseits Oppositionsparteien gründeten, nagen an Erdogans Popularität. Die türkischen Explorationsaktivitäten wurden daher auch auf das Schwarze Meer ausgeweitet und waren nicht mehr nur auf die umstrittenen Gewässer im östlichen Mittelmeer beschränkt, um die sich der Konflikt mit Griechenland dreht.

2. Der externe Faktor:

a) Die USA unterstützen die derzeit betriebenen Anstrengungen der Türkei. Und das aus zweierlei Gründen: Der erste ist lokaler Art. Erdogan, Amerikas Mann in der Türkei, wäre nämlich in einer günstigeren Position, gelänge es ihm, die wirtschaftlichen Hemmnisse zu beseitigenund seine Popularität wieder auf ein Niveau von vor 2014 zu bringen. Es wäre dann einfacher für ihn, die Politik der USA durchzusetzen, wie z. B. bei seiner Intervention in Libyen, wo er dann in der Lage wäre, seine regionalen Interventionen zugunsten der USA auch zu finanzieren. Der zweite Grund ist: Die USA möchten nicht, dass Europa aufgrund des russischen Erdgases unter dem politischen Einfluss Russlands steht. Gleichzeitig wollen sie aber auch keine europäische Unabhängigkeit in der Frage des Erdgases. Denn Zypern und Griechenland sind beides Mitglieder der EU und die Pipelines verlaufen über diese Länder nach Europa. Das alles missfällt den USA. Daher forcieren sie es, dass die Unabhängigkeit Europas in Sachen Erdgas bedroht wird, und zwar mittels der Türkei. Im Klartext: Präsident Erdogan droht Griechenland und führt ohne Absprache Bohrungen in Seegebieten durch, die von den Griechen als ihre Hoheitsgewässer beansprucht werden – und das mit verdeckter Unterstützung der USA. Aus diesem Grund nahmen an den türkischen Militärübungen auch US-Militärschiffe teil. So hat das türkische Verteidigungsministerium die Beteiligung des US-Zerstörers „USS Washington“ an diesen Manövern angekündigt. (Turkeyalaan, 26.08.2020) Das geschah trotz der starken Verlegenheit der USA, einen Nato-Staat gegen einen anderen, europäischen Staat, der ebenfalls der Nato angehört, zu unterstützen. Im Grunde geschah es im Gegenzug zur Beteiligung Frankreichs an den griechischen Militärübungen, wobei Frankreich ebenso Mitglied der Nato ist. Diese Manöver zusammen mit einem relativ großen militärischen Aufgebot und einer provokativen Rhetorik - all das hat im östlichen Mittelmeer eine gefährliche Situation herbeigeführt, in der militärische Zusammenstöße unter Nato-Staaten auszubrechen drohten, d. h. zwischen der Türkei, die hinter den Kulissen von den USA unterstützt wird, und Griechenland, das offene Schützenhilfe von Frankreich erhält.

b) Von einem anderen Aspekt her ist festzustellen: Die Tatsache, dass die USA einen solch schweren Konflikt zwischen zwei Mitgliedsstaaten der von ihnen geführten Nato zulassen, der sich leicht zu einer militärischen Auseinandersetzung hätte hochschaukeln können, ohne sich mit ganzem Gewicht für die Beilegung der Krise einzusetzen, ist ein Beleg dafür, dass die USA mit internen Problemen, wie der Corona-Pandemie und den Wahlen, beschäftigt sind. Und es zeigt, dass die USA derzeit Erdogan damit betrauen, die gegen Europa - in diesem Fall gegen Griechenland - gerichteten Aktionen durchzuführen. Dabei unterstützen sie ihn und berücksichtigen den Umstand, dass sie sich in der Verlegenheit befinden, dass sowohl die Türkei als auch Griechenland Mitglieder des von ihnen geführten Nato-Bündnisses sind. Aufgrund dessen beteiligten sich die USA an den türkischen Militärmanövern, um Erdogan in dieser Situation zu unterstützen. Das zum Einen. Zum anderen aber reiste Mike Pompeo zu einer Stippvisite in den griechischen Teil Zyperns. Russia Today berichtete: Pompeo forderte die Türkei auf, ihre Streitkräfte aus dem östlichen Mittelmeer abzuziehen, wo ein türkisches Explorationsschiff mit Unterstützung von Militärfregatten operiert.“ (13.09.2020) Das bedeutet nichts anderes, als dass die USA, die die Unterstützer der Türkei sind, gegenüber ihren europäischen Verbündeten in große Verlegenheit geraten sind. So sahen sie sich gezwungen, vom türkischen Präsidenten den Abzug seines Bohrschiffes zu fordern, was er auch tat, um anschließend in den Dialog und in Verhandlungen zu treten. Denn Griechenlands Bedingung für einen Dialog war der Abzug des türkischen Forschungsschiffes.

Drittens: Die Positionen anderer Staaten

1. Frankreich zeigte sich unter den europäischen Staaten am striktesten in seiner Haltung. Von Anfang an erklärte Frankreich, an Griechenlands Seite zu stehen und ging eigenmächtig vor. So teilte Staatspräsident Macron mit: „Ich habe beschlossen, in den nächsten Tagen die französische Militärpräsenz im östlichen Mittelmeer in Kooperation mit den europäischen Partnern, einschließlich Griechenland, vorübergehend zu verstärken.“ (Türkische Nachrichtenagentur Anadolu, 13.08.2020) Frankreich führte mit Griechenland gemeinsame Manöver auf See durch, bei denen Rafale-Jets zum Einsatz kamen, die nach Zypern verlegt worden waren. Weitere Übungen wurden am 26.08.2020 durchgeführt, an denen neben Griechenland und Zypern auch Italien involviert wurde. All das fand statt, obwohl Frankreich keinen Einfluss in der Region hat, was beweist, dass Frankreich versucht, sich von neuem einen gehörigen Einfluss aufzubauen. Militärische Manöver gemeinsam mit Griechenland durchzuführen, während die USA zeitgleich mit der Türkei dasselbe tun, stellt implizit eine verdeckte Herausforderung der USA dar. Dass Italien mitbeteiligt wird, ist ein Zeichen dafür, dass Frankreich die europäischen Staaten auf seiner Seite gegen die Türkei in Stellung bringt. Belegt wird das auch durch das Gipfeltreffen, zu dem Frankreich einige europäische Mittelmeer-Anrainer (Italien, Malta, Spanien, Griechenland und Zypern) eingeladen hatte. Zudem übt Frankreich innerhalb der Europäischen Union und der Nato Druck aus, um eine strenge Haltung gegenüber der Türkei einzunehmen. So erklärte Präsident Macron: „Wir als Europäer müssen klar und entschlossen mit der Regierung von Präsident Erdogan umgehen, die heute ein inakzeptables Verhalten an den Tag legt.“ Er sei der Ansicht, dass „die Türkei kein Partner mehr in dieser Region ist.“ (France 24, 10.09.2020) Und Frankreichs Außenminister Jean Yves Le Drian betonte, dass die nächste Sitzung des Europäischen Rates für die Bestrafung der Türkei bestimmt sei. Er wies darauf hin, dass der türkische Präsident Rejep Tayyip Erdogan die Eskalation mit Griechenland aufrechthalte, um die schwierige Wirtschaftslage in seinem Land zu kaschieren. (Independent Arabi, 07.09.2020)

Trotz der kühnen anti-türkischen Haltung Frankreichs und des Versuchs, den türkischen Präsidenten zum Einknicken zu bringen, und obwohl Erdogan weder ein „Fatih“ noch ein „Kanuni“ ist, wie er seine Schiffe zu taufen pflegt, und er Frankreich auch keine Lektion im östlichen Mittelmeer erteilt hat, indem er zumindest ein französisches Schiff versenkt, um ein Exempel zu statuieren, dafür dass Frankreich seine Schiffe und Flugzeuge tausende Meilen zurücklegen lässt, um ihm vor seiner eigenen Haustür „die Knochen zu brechen“ – trotz all dem bleibt Frankreichs Politik eine Ad-Hoc-Politik ohne Tiefe. So hat sich Malta beeilt, sich aus der Allianz mit Frankreich herauszulösen. Demnach betonte maltesische Außenminister Evarist Bartolo auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlut Cavusoglu: „Die Europäische Union muss ihre Beziehungen zur Türkei aus einer strategischen Perspektive betrachten“. Weiter sagte er: „Ich glaube, es ist an der Zeit, dass sich die Europäische Union ernsthaft mit der Türkei auseinandersetzt, insbesondere im Bereich Handel, Menschenrechte und Terrorismusbekämpfung.“ (Türkische Nachrichtenagentur Anadolu, 12.09.2020)

2. Was die Briten betrifft, so ließen sie die Eskalation im östlichen Mittelmeer bislang unkommentiert, was Frankreichs Ängste erhöhte. Mehr noch, seit dem Brexit blickt Frankreich auf die Rolle Großbritanniens mit Misstrauen. So sieht man, wie es in einigen Fällen Großbritannien entgegentritt, wie in Algerien zum Beispiel. Und da die riesigen Finanzmärkte Londons den Briten eine wichtige Stellung auf dem Öl- und Gasmarkt verschafft haben, insbesondere bei der Preisgestaltung aufgrund der Verbindung zum Brent-Rohöl und der damit verknüpften Preisfestlegung anderer Ölsorten und sogar des Erdgases, während Frankreich dabei zusieht, wie Großbritannien die EU verlässt, suchen die Franzosen nun ebenso nach einer Stellung für sich in diesem international lebenswichtigen Sektor. Daher hat Frankreich beschlossen, sich ein Standbein in Griechenland zu schaffen, in der Hoffnung, dass dies dabei helfen könnte, in Sachen Energie ein Akteur zu werden und nicht nur Konsument zu bleiben.

Auf der anderen Seite schlagen die Briten, die sich wegen des Brexits quasi einer Strafpolitik seitens der EU ausgesetzt sehen, ihren eigenen Weg und ihre eigene Politik ein. Vielleicht hat auch die plötzliche Zuspitzung der Spannungen im östlichen Mittelmeer ihre Besorgnis erregt. Daher positionierten sie sich nicht gegen die Türkei. Denn Griechenland bedeutet den Briten nichts verglichen mit ihren Interessen in der Türkei. So wäre niemand bereit auf der griechischen Welle mitzureiten, es sei denn, ein blinder Fanatiker wie Frankreich! Gemessen an Großbritannien und Deutschland, fehlt es den Franzosen an jeglichem Weitblick, was dazu führt, dass sie nach anstrengenden politischen Aktionen mit leeren Händen zurückkehren. Deshalb ging Erdogan den französischen Präsidenten harsch an und ließ ihn wissen: „Herr Macron, Sie werden mit mir persönlich viel mehr Probleme bekommen.“ Und er ergänzte: „Sie haben keine historischen Informationen, kennen nicht einmal die Geschichte Frankreichs. Hören Sie also auf, sich mit der Türkei und ihrem Volk zu beschäftigen.“ (Al-Quds al-Arabi, 12.09.2020)

3. Was Deutschland betrifft, so ist es ebenfalls nicht in Frankreichs anti-türkische Haltung hineingerutscht. Deutschland hat sich als Vermittler angeboten, was einige dahingehend interpretierten, dass es die Rolle einnimmt, die eigentlich Washington einnehmen sollte. Deutschland blieb im Hinblick auf die französische Position distanziert, griff vermittelnd ein und rief zum Dialog auf. Den diesbezüglich stärksten Standpunkt Deutschlands gegenüber der Türkei brachte Außenminister Heiko Maas während seines Athen-Besuchs zum Ausdruck: „In Bezug auf die türkischen Forschungsbohrungen im östlichen Mittelmeer haben wir eine klare Position… Das Völkerrecht muss eingehalten werden. Deswegen sind Fortschritte in der EU-Türkei-Beziehung nur dann möglich, wenn Ankara die Provokationen im östlichen Mittelmeer unterlässt.“ Die türkischen Bohrungen vor der Küste Zyperns müssten aufhören, fügte Maas hinzu. (France 24, 22.07.2020)

4. Russland hingegen hatte angeboten, seine guten Beziehungen zur Türkei zu nutzen, um zwischen den beiden Parteien zu vermitteln. Doch wie üblich, ist Russland nicht imstande, eigeninitiativ zu handeln, auch wenn Moskau ankündigte, auf die französischen Manöver mit eigenen Militärübungen im östlichen Mittelmeer zu reagieren. Vielleicht möchte es sich damit auch nur selbst in Erinnerung rufen. Es wurde beschlossen, dass Russland am kommenden Dienstag mit militärischen Marinemanövern im östlichen Mittelmeer beginnen wird, bei denen Schießübungen stattfinden sollen. Sie sollen bis zum 22. September andauern. Andere sollen laut der türkischen Marine vom 17. bis zum 22. dieses Monats stattfinden, so die Nachrichtenagentur Bloomberg. Der russische Marinesprecher Igor Digalo erklärte: „Wir haben starke Wirtschafts- und Verteidigungsbeziehungen mit der Türkei. Unsere Politik ist jedoch, zu vermeiden, eine der beiden Parteien zu unterstützen.“ Die russischen Manöver fanden im Anschluss an weitere französische Militärübungen in der Region statt. So hatte Frankreich Militärflugzeuge und ein Kriegsschiff entsandt, um Griechenland und Zypern in dem Konflikt zu unterstützen. (Independent Arabi, 07.09.2020) Das bedeutet, die Position Russlands bleibt eher marginal, im Abwarten eines Fingerzeigs von jenseits des Atlantiks. Jedoch will Russland seine Stärke in Erinnerung rufen.

Viertens:

Sollte also die türkisch-griechische Krise länger anhalten, könnte es aus all den erwähnten Gründen zu einem tiefen Riss innerhalb der internationalen Beziehungen führen. Was das transatlantische Verhältnis betrifft, so wollen die europäischen Staaten ihre Stellung in einer Welt gewährleistet sehen, in der die USA sich aus ihrer Führungsrolle zunehmend zurückziehen und ihren Fokus auf China und ihre wachsenden internen Probleme legen. Diese Staaten haben begonnen, nach einer eigenen Rolle getrennt von den USA zu suchen. Und die Vereinigten Staaten unter der Regierung Trumps werden nicht davon ablassen, die europäischen Interessen durch Einsatz anderer Staaten zu bedrohen, wie es in Libyen durch den Einsatz Russlands und der Türkei geschehen ist. Die europäischen Staaten ihrerseits haben große Befürchtungen, dass die Mittelmeer-Krise ihren Traum von sicheren Erdgas-Quellen zerstören könnte, wenn ein großer Teil davon unter türkische Kontrolle gerät. Und da die Türkei hinter den Kulissen von Washington unterstützt wird, versucht Frankreich, sich mit seiner derzeit betriebenen Mittelmeer-Politik gegen die Rollen zu stemmen, die in Washington für die Türkei und auch für Russland entworfen werden. Dieser transatlantische Streit steht einem anderen, nämlich innereuropäischen Streit in nichts nach. So war die deutsche Position der Grund dafür, dass Frankreich die EU nicht zu Sanktionen gegen die Türkei bewegen konnte, d. h. Frankreich war es nicht gelungen, einen Konsens innerhalb der Europäischen Union gegen die Türkei herzustellen. So ging Frankreich hin und scharte die europäischen Mittelmeerländer um sich! Deutschland hingegen macht sich viele Gedanken über seine Interessen und sogar über seine Geschichte mit der Türkei. So haben Deutschland und der Osmanische Staat im Ersten Weltkrieg Seite an Seite gegen die Alliierten gekämpft. Die deutschen Beziehungen zur Türkei blieben stark. Belastet wurden sie nur durch Erdogans „Störaktionen“, die oftmals von der amerikanischen Politik angestoßen werden. Hinzu kommt, dass eine große türkische Gemeinde in Deutschland lebt.

Fünftens:

Abgesehen davon, ob die Krise nun vorbei ist oder nicht; die Türkei gab die Entdeckung riesiger Erdgasreserven im Schwarzen Meer bekannt, die einen Umfang von 320 Milliarden Kubikmeter haben sollen. Das wird sie zu weiteren Bohrungen im Schwarzen Meer und im östlichen Mittelmeer antreiben. So wird die Türkei ihre Bemühungen zur wirtschaftlichen Entlastung weiter fortsetzen. Und auch die Unterstützung Amerikas wird weiterlaufen, um Europa und insbesondere Frankreich zu bedrängen und unter Druck zu setzen, damit es sich nicht zu sehr wagt, die amerikanische Politik in der Region zu durchkreuzen und zu stören!

Was allerdings wahrlich schmerzt, ist, dass die islamischen Länder während der vergangenen einhundert Jahre nach Abschaffung des Kalifats, dem wahren islamischen Staat und dem Quell muslimischer Größe, zum Schlusslicht der Nationen geworden sind, mit deren Schicksal die kolonialistischen Ungläubigen spielen. Das tun sie über ihre Handlanger, die in den islamischen Ländern die Regentschaft innehaben! Doch nach der Finsternis der Nacht wird das Morgenlicht erstrahlen, insbesondere da Hizb-ut-Tahrir in allen Winkeln dieser Länder tätig ist, um sie mit Allahs Erlaubnis in den Zustand zurückzuführen, in dem sie sich befunden hat: mit Ruhm, Sieg und Licht gekrönt.

(إِنْ هُوَ إِلَّا ذِكْرٌ لِلْعَالَمِينَ * وَلَتَعْلَمُنَّ نَبَأَهُ بَعْدَ حِينٍ)

Es ist nur eine Ermahnung für die Weltenbewohner. Und ganz gewiss werdet ihr die Nachricht darüber nach einer bestimmten Zeit erfahren. (38:87-88)

24. Ṣafar al-Ḫair 1442 n. H.
11.10.2020 n. Chr.
Nach oben

Seitenkategorie

Links

Die westlichen Länder

Muslimische Länder

Muslimische Länder